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Anfang Juni 1944

Ungarn

Staatschef Horthy fordert von Ministerpräsident Sztójay, daß bestimmte Kategorien von Juden, einschließlich der zum Christentum Konvertierten und der für die Nationalwirtschaft Wertvollen (Ingenieure, Ärzte, Techniker), von den antijüdischen Maßnahmen ausgenommen werden sollten. Die "Judenfrage" sei entgegen den ungarischen Konzepten und Interessen behandelt worden. Nach seinen letzten Informationen überträfen die Maßnahmen sogar die in Deutschland selbst angewendeten. (Braham, Politics of Genocide II, S. 746)

02.06.1944

Frankreich/Auschwitz

Ankunft eines Deportationszugs aus dem Lager Drancy mit 1.000 Menschen in Auschwitz. Nach der "Selektion" werden 239 Männer und 134 Frauen als Häftlinge übernommen, die anderen 627 Menschen werden in den Gaskammern getötet. (Czech, S. 792)

03.06.1944

Italien/Auschwitz

Ein Zug mit Juden aus Italien, u.a. aus Triest, kommt in Auschwitz an. Alle Frauen und 25 Männer werden in die Gaskammern geschickt. (Czech, S. 792)

04.06.1944

Rede von Goebbels auf einer Parteikundgebung in Nürnberg

"Es wäre ja sehr unklug gewesen, wenn wir vor der Machtübernahme schon den Juden ganz genau auseinandergesetzt hätten, was wir mit ihnen zu tuen beabsichtigen. Das war ganz gut und zweckmäßig, daß wenigstens ein Teil der Juden dachte: Na, ganz so schlimm wird's ja nicht kommen; die reden viel, aber das wird sich ja noch finden, was sie tuen werden. Es war ganz gut, daß sie die nationalsozialistische Bewegung nicht so ernst genommen haben, wie sie das wirklich verdiente." (Heiber, Goebbels-Reden II, S. 330)

06.06.1944

Niederlande/Auschwitz

Aus dem KL Herzogenbusch/Vught werden 496 jüdische Häftlinge - 397 Frauen und 99 Männer - nach Auschwitz eingeliefert. Es handelt sich insbesondere um Menschen aus dem "Philips-Kommando", zum Teil qualifizierte Mitarbeiter des Elektrokonzerns (der in Vught eine Reihe von Werkstätten unterhielt), die zusammen mit ihren  Angehörigen bis dahin einen relativ "privilegierten" Status gehabt hatten.

09.06.1944

Generalgouvernement

Rede Generalgouverneur Franks vor Lehrgangsteilnehmern in  Krakau.

"Für die Bekämpfung der Juden war es unerläßlich, daß wir Polen bekamen; denn hier in Polen lebte ja die natürliche Fruchtbarkeit des jüdischen Volkes, sie bestand ja sonst nirgendwo mehr. Seit der Ausrottung der Juden in Polen ist es, rein blutsmäßig gesehen, mit der jüdischen Zukunft vollkommen vorbei; denn nur hier gab es Juden, die Kinder hatten." (Präg, S. 868-869)

Das amerikanische Außenministerium informiert die UdSSR über den "Eichmann-Vorschlag". Am 19. Juni antwortet die sowjetische Regierung, es sei sowohl unzulässig wie unzweckmäßig, sich überhaupt auf Gespräche mit der deutschen Regierung einzulassen. (Bauer, Freikauf, S. 284)

Griechenland

1.795 der rund 2.000 Juden Korfus werden festgenommen und in die Hauptstadt der Insel gebracht. Von dort werden sie zusammen mit den letzten Juden aus dem KL Chaidari - die bei mehreren Razzien im Großraum Athen festgenommen wurden - nach Auschwitz abtransportiert. (Benz, Dimension, S. 266)

14.06.1944

Brand wird von den britischen Behörden aus Aleppo (Syrien) nach Kairo gebracht.

Shertok, der am 11. Juni mit Brand in Aleppo sprechen durfte, leitet nach seiner Rückkehr nach Palästina eine Sondersitzung der Leitung der Jewish Agency. Es überwiegt die Ansicht, Shertok solle nach London reisen, um sich dafür einzusetzen, daß irgendwelche offiziell neutrale, tatsächlich aber pro-alliierte Organisationen auf neutralem Boden mit den Deutschen über das "Eichmann-Angebot" verhandeln. (Bauer, Freikauf, S. 290)

Ungarn

Aufgrund eines "Angebots" von Eichmann, 30.000 ungarische Juden in Österreich "auf Eis zu legen", kommt gegen zugesagte Zahlung von fünf Millionen Schweizer Franken ein Abkommen zwischen Eichmann und Vertretern der Budapester Juden zustande.

In der Folge wurden in der zweiten Juni-Hälfte 1944 fast 21.000 Juden aus den südlichen Teilen Ungarns in das nahe Wien gelegene Lager Strasshof deportiert. Sie wurden in industriellen und landwirtschaftlichen Betrieben eingesetzt. Die meisten überlebten den Krieg. Das "Angebot" war mit Billigung des RSHA gemacht worden, das damit zugleich den Wunsch des Bürgermeisters von Wien, Blaschke, nach Zwangsarbeitern erfüllte. (EdH, S. 1375)

15.06.1944

Ungarn

Telegramm Veesenmayers an Ribbentrop.

Es wurden bisher 340.000 Juden aus Ungarn deportiert. Diese Zahl werde bis Ende Juli verdoppelt werden und werde am Ende bei 900.000 liegen. (Braham, Destruction I, Nr. 178)

Bericht Hagemeyers über die Vorbereitungen für einen internationalen Antisemitismus-Kongreß.

Rosenberg habe von Hitler den Auftrag erhalten, einen antijüdischen Kongreß durchzuführen. Termin sei auf den 11. Juli festgelegt worden; als Ort sei Krakau vorgesehen. Die im Anschluß an den Kongreß vorgesehene Bildung internationaler Arbeitsgemeinschaften zur Erforschung und Bekämpfung des Judentums sei  bereits eingeleitet worden.

"Es erscheint notwendig, daß die durch die Feindpropaganda erzeugte Stimmung, der Nationalsozialismus befinde sich allgemein im Rückzug, durch diesen großen antijüdischen Kongreß widerlegt wird. Die Invasionsarmee kämpft nicht gegen ein barbarisches Deutschland der Judenvernichtung, sondern für das Weltjudentum! Welche augenblickliche Propaganda deutscherseits stellt dies gebührend heraus? Eine Aufgabe des Planes, bzw. ein Hinausschieben dieses internationalen Kongresses auf unbestimmte Zeit würde, nachdem halb Europa für diesen Plan bereits gewonnen ist, die gegen uns geführte Propaganda unterstützen und stärken." (IMT, PS-1752)

17.06.1944

Ungarn

Beginn der "Konzentration" der Budapester Juden in gekennzeichneten Häusern, den Gelber-Stern-Häusern.

20.06.1944

Verfügung des OKH

Die Beschäftigung jüdischer Mischlinge, auch zweiten Grades, als Gefolgschaftsmitglieder (Arbeiter und Angestellte) des Heeres ist nicht zulässig; dies gilt auch für Arbeitskräfte, die auf Grund eines privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses beim Heer tätig sind. (Walk, S. 404)

23.06.1944

Ungarn

Sitzung des Ministerrats.

Der stellvertretende Staatssekretär im Innenministerium, Baky, und der für die "Judenpolitik" zuständige Unterstaatssekretär Endre erläutern und rechtfertigen die Deportationen. Die Beschwerden seien unbegründet; die Juden würden in Deutschland unter normalen Bedingungen arbeiten.

Der Staatssekretär im Kultus- und Erziehungs-Ministerium, Mester, verweist auf die Petitionen der christlichen Kirchen und warnt vor den Konsequenzen der Deportation vieler bekannter Wissenschaftler. Die manchen Juden gewährten Ausnahmegenehmigungen wurden von den örtlichen Behörden mißachtet.

Arnóthy-Jungerth vom Außenministerium berichtet über Warnungen der USA, daß Ungarn die Verfolgung der Juden einstellen sollte. Die Rumänen hätten den Amerikanern zugesagt, die Einwanderung jüdischer Flüchtlinge aus Ungarn zuzulassen und die antijüdischen Restriktionen in ihrem Land zu lockern.

Am Ende der Sitzung werden Baky und Endre angewiesen, den Grausamkeiten gegen die Juden ein Ende zu setzen. (Braham, Politics of Genocide II, S. 747-49)

23.06. - 14.07.1944

Wartheland

Aus dem Ghetto von Lodz werden 7.200 Menschen in das Vernichtungslager Chelmno/Kulmhof abtransportiert und dort ermordet.

25.06.1944

Ungarn

Papst Pius XII appelliert zugunsten der Juden an Horthy.

26.06.1944

Ungarn

Sitzung des Kronrats. Staatschef Horthy kündigt an, sich den Deportationen künftig zu widersetzen. Falls die Deutschen auf Fortsetzung der Maßnahmen gegen die Juden bestehen, müßten sie diese künftig ausschließlich mit eigenen Kräften, ohne Beteiligung der ungarischen Gendarmerie, durchführen. Horthy fordert, Baky und Endre - die treibenden Kräfte der antijüdischen Politik im Innenministerium - abzulösen. (Braham, Politics of Genocide II, S. 755-756)

27.06.1944

Ungarn

Sitzung des Ministerrats.

Arnothy-Jungerth vom Außenministerium berichtet über neue amerikanische Warnungen und über das Angebot des schwedischen Roten Kreuzes für 3-400 Juden (mit Verwandten oder geschäftlichen Beziehungen in Schweden), über die Bitte der Schweiz, 7.000 Juden nach Palästina auswandern zu lassen, und über das Angebot des amerikanischen War Refugee Board, den Juden in den Ghettos und Lagern zu helfen.

Der Ministerrat billigt mehrheitlich die schwedischen und Schweizer Vorschläge, lehnt aber das Angebot des War Refugee Board ab. (Braham, Politics of Genocide II, S. 756)

Ungarn/Großbritannien

Der "Manchester Guardian" berichtet unter der Überschrift "Massacre begins", daß die Deutschen schon 100.000 ungarische Juden  ermordet hätten.

28.06.1944

Generalgouvernement

Befehl des SS- und Polizeichefs des GG.

"Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Monaten im Generalgouvernement derart verschlechtert, daß nunmehr mit radikalsten Mitteln und allerschärfsten Maßnahmen gegen fremdvölkische Attentäter und Saboteure durchgegriffen werden muß."

Himmler habe mit Zustimmung von Generalgouverneur Frank angeordnet, bei Attentaten auf Deutsche oder auf "lebenswichtige Einrichtungen" nicht nur die gefaßten Täter zu erschießen, sondern außerdem alle Männer "der Sippe" ebenfalls hinzurichten und die weiblichen Angehörigen über 16 Jahren in Konzentrationslager einzuweisen.   

"Mit diesem Verfahren ist beabsichtigt, eine Gesamthaftung durch alle Männer und Frauen der Sippe des Täters sicherzustellen. Es wird damit ferner der Lebenskreis des politischen Verbrechers auf das empfindlichste getroffen. Diese Praxis hat beispielsweise schon Ende 1939 in den neuen Ostgebieten, insbesondere im Warthegau, die besten Erfolge gezeitigt." (IMT, L-037)

28. - 30.06.1944

RK Ostland

Beim Herannahen der sowjetischen Armee erschießen  die Deutschen im Lager Maly Trostenez nahe Minsk 6.500 Menschen aus Minsker Lagern und Gefängnissen.

Insgesamt wurden in Maly Trostenez etwa 65.000 Juden aus Deutschland, Österreich, dem Protektorat Böhmen-Mähren, Luxemburg und  den Niederlanden sowie aus dem Ghetto von Minsk ermordet.

Am 3. Juli 1944 erreichten sowjetische Truppen das Gebiet das Lagers. (EdH, S. 921-922)

30.06.1944

Ungarn

Der sogenannte Musterzug mit annähernd 1.700 Menschen fährt aus Budapest ab. Er kommt am 8. Juli im Lager Bergen-Belsen an; die Insassen werden in einem "Bevorzugtenlager" mit relativ besserer Behandlung untergebracht.

Der "Musterzug" war ein Einfall Eichmanns im Rahmen des vorgeschlagenen Tauschgeschäfts Juden gegen LKWs. Damit sollte die Ernsthaftigkeit des deutschen Vorschlags demonstriert werden. Eichmann hatte Reszö Kasztner, einem führenden Vertreter der Budapester Juden, gestattet, die Insassen dieses Zuges - denen Ausreise ins neutrale Ausland versprochen  wurde - selbst zusammenzustellen. So fuhren viele Angehörige und Freunde Kasztners mit diesem Zug - und konnten später tatsächlich Deutschland verlassen.

König Gustav V von Schweden richtet einen Appell zugunsten der Juden an Horthy.

Veesenmayer teilt dem Auswärtigen Amt mit, daß bisher insgesamt 381.661 Menschen aus Ungarn abtransportiert wurden. Der Beginn der Deportationen aus Budapest mußte wegen der Einwände Horthys um zehn Tage verschoben werden. (Braham, Destruction I, Nr. 182 und Nr. 183)

RSHA-Chef Kaltenbrunner an den Bürgermeister der Stadt Wien,  Blaschke.

Aufgrund der Bitte Blaschkes um Zwangsarbeiter wurden zunächst vier Züge mit etwa 12.000 Menschen nach Wien bzw. zum KL Strasshof geschickt. (s. 14.6.44)

"Nach den bisherigen Erfahrungen werden bei diesen Transporten schätzungsweite etwa 30% (...) an arbeitsfähigen Juden anfallen, die unter Vorbehalt ihres jederzeitigen Abzuges zu den in Rede stehenden Arbeiten herangezogen werden können. Daß nur ein gut bewachter, geschlossener Arbeitseinsatz und eine gesicherte lagermäßige Unterbringung in Betracht kommen kann, liegt auf der Hand und ist unbedingte Voraussetzung für die Bereitstellung dieser Juden. Die nichtarbeitsfähigen Frauen und Kinder dieser Juden, die sämtlich für eine Sonderaktion bereitgehalten und deshalb eines Tages wieder abgezogen werden, müssen auch tagsüber in dem bewachten Lager verbleiben." (IMT, PS-3803)

Griechenland/Auschwitz

Ein Deportationszug mit 2.044 Menschen aus Athen und Korfu kommt in Auschwitz an. 175 Frauen und 446 Männer werden als Häftlinge übernommen. 1.423 Menschen werden in den Gaskammern getötet.

Italien

Aus dem Lager Fossoli werden annähernd 1.000 Juden nach Auschwitz eingeliefert. 180 Männer und 51 Frauen werden als Häftlinge registriert; die anderen Menschen werden in den Gaskammern getötet. (Czech, S. 809)

WELTKRIEGSEREIGNISSE

01.06.1944

Bulgarien

Neubildung der Regierung mit dem Ziel, mit den Alliierten über einen Ausstieg aus dem Krieg zu verhandeln. Ministerpräsident Bagrjanov kündigt eine neue Politik gegenüber den Juden an; doch müsse die Regierung vorsichtig sein, solange die Deutschen noch im Land sind und die Gefahr einer Intervention besteht.

02.06.1944

Rumänien

Nach sowjetisch-rumänischen Geheimgesprächen wird eine prinzipielle Einigung über die Bedingungen eines Ausscheidens Rumäniens aus dem Krieg erreicht.

03.06.1944

Zusammenbruch der deutschen Front an den Albaner Bergen, südlich von Rom.

04.06.1944

Die deutschen Truppen ziehen sich aus Rom zurück.

06.06.1944

Invasionsbeginn in der Normandie.

16.06.1944

Das OKW meldet die Beschießung Südenglands und des Stadtgebiets von London "mit neuartigen Sprengkörpern schwersten Kalibers".
Insgesamt wurden bis März 1945 auf England etwa 9.000 V 1 und 1.100 bis 1.200 V 2 abgeschossen.

22.-23.06.1944

Die sowjetischen Truppen eröffnen eine Großoffensive im Raum Witebsk-Orscha, die Anfang August zur Bildung eines Brückenkopfs an der Weichsel bei Sandomir führt. Innerhalb von zwei Wochen werden 25 deutsche Divisionen vernichtet und die gesamte Heeresgruppe Mitte zerschlagen.

26.06.1944 Weltkrieg/

UdSSR

Sowjetische Truppen befreien Witebsk (Weißrußland). In der Stadt, wo vor dem Krieg 50.000 Juden lebten, gibt es keine jüdischen Überlebenden mehr. (EdH, S. 1609)

27.06.1944

Mit der Einnahme von Cherbourg gewinnen die Allierten einen ersten Hafen.

28.06.1944

Mogiljow (Weißrußland) wird von sowjetischen Truppen befreit. In der Stadt, in der vor dem Krieg mehr als 16.000 Juden gelebt hatten, gibt es keine jüdischen Überlebenden mehr. (EdH, S. 959-960)


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